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Ist Sport für die Regierung irrelevant? Scharfe Kritik vom Verbandsvorsitzenden!

Berlin/Budapest - Der Ernüchterung nach einer WM ohne Medaillen in der Leichtathletik ist enorm. Die Athleten stehen im Zentrum der Kritik, aber nun hat der Verbandsvorsitzende Jürgen Kessing (66) scharfe Worte gegen die Bundesregierung gerichtet.

Am finalen Wettkampftag in Budapest machte der gebürtige Wormser seine Meinung auf einer Pressekonferenz deutlich.

"Ich ärgere mich immer wieder, dass der Sport in Berlin nicht die nötige Unterstützung erhält. Es gibt viele Prioritäten, aber der Sport gehört nicht dazu", äußerte sich der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Er hat klare Vorstellungen darüber, was er von Berlin erwartet: "Wenn ich unsere gesellschaftliche Entwicklung betrachte - unsere Wirtschaft schwächelt, der Sport, vom Fußball über andere Sportarten, verliert an Bedeutung. Ich denke, wir hatten mal einen Präsidenten, der von einem Impuls sprach, der durch Deutschland gehen soll. Wir müssen uns bewusst machen, dass der Sport nicht nur für uns, sondern für viele Menschen einen enormen Wert hat und er nicht isoliert betrachtet werden darf", so Kessing.

Diese "Verzahnung" von soziologischen, gesundheitspolitischen und letztendlich auch wirtschaftlichen Aspekten, scheint "in Berlin wohl nicht so präsent zu sein".

Jürgen Kessing fordert Milliarden-Investition in den deutschen Sport

Dem Vorwurf, die finanzielle Unterstützung des Sports sei in den letzten Jahren stetig gestiegen, hält er entgegen: "Das Geld, das an der Universität in Texas zur Verfügung steht, entspricht in etwa dem Geld, das in Deutschland für den gesamten Leistungssport vom Bund bereitgestellt wird. 300 Millionen klingen viel, sind aber relativ gesehen wenig", stellt der Verbandschef klar.

Er begrüßt es, dass die Grundsicherung für Kinder eingeführt wird, aber seiner Meinung nach kann der Sport eine entscheidende Rolle für die Jüngsten im Land und die gesamte Gesellschaft spielen. "Ich würde gern eine oder mehrere Milliarden in den Sport investieren. Dadurch könnten wir Kinder stärken, würden sie durch den Sport sozialisieren, sie befähigen, auch gegenüber Erwachsenen standhaft zu sein. Das Geld wäre sinnvoll investiert", ist sich Kessing sicher.

Wie schon während der Corona-Zeit, als Sportstätten dauerhaft geschlossen und die wichtige Bewegung von Erwachsenen und Kindern stark eingeschränkt wurden, scheint der Sport in der Regierung - wenn überhaupt - nur eine Nebenrolle zu spielen.

Eine Förderung des Spitzensports ist wichtig und richtig, aber Kessing spricht von einer generellen Investition in einen Bereich, der gesellschaftlich mindestens ebenso bedeutsam ist wie Wirtschaft und Kultur.

Der Leichtathletik-Vorsitzende wünscht sich eine Bewerbung Deutschlands für die Olympischen Spiele

Deshalb hofft er auf eine erneute Bewerbung Deutschlands für die Olympischen Spiele 2036. "Wir haben seit 50 Jahren keine Olympischen Spiele in Deutschland ausgetragen. Das würde einen enormen Impuls setzen, weil wir dann wieder diese acht bis zwölf Jahre Vorlaufzeit hätten, auf die sich auch die Jugend freuen und vorbereiten könnte. Und es würde helfen, die sportliche Infrastruktur wieder aufzuwerten, da in diesem Bereich einiges vernachlässigt wurde. Wir haben einiges aufzuholen", bedeutet das für ihn.

Die Maßnahmen sollten im Schulsport beginnen und dabei könnte auch Olympia im eigenen Land seinen Beitrag leisten, einen Anreiz, der jungen Menschen eine Vision vor Ort bieten könnte. "Wir müssen mehr im Schulsport machen und da hätten Olympische Spiele ebenso den Reiz, sich wieder mehr mit olympischen Sportarten auseinanderzusetzen und nicht nur die Fun-Sportarten zu pflegen", so Kessing.

Ob die Regierung auf seine Worte reagiert, bleibt abzuwarten. Denn der bereits verabschiedete Bundeshaushalt sieht eine Reduzierung der Mittel von 303 Millionen auf 276 Millionen Euro vor.

Olympiasieger Robert Harting kritisiert das neue System der Spitzensport-Reform

Ebenso wie Kessing äußert sich auch der Olympiasieger und dreifache Weltmeister im Diskuswerfen, Robert Harting (38), kritisch. "Dieses Potts System ist meiner Meinung nach völlig verfehlt. Es entstand aus Misstrauen der Politik gegenüber dem DOSB. Das sagt alles", kritisiert er heftig.

Das Potenzialsanalysesystem (PotAS) ist ein Bestandteil der Spitzensport-Reform, bei der Bundesmittel stärker aufgrund von Erfolgsvorstellungen und Medaillenhoffnungen verteilt werden sollen. Auch die Abschaffung von Ergebnissen, Tabellen und Urkunden hält er für völlig falsch.

Der Sport in Deutschland steht seit längerem an einem Wendepunkt und der Erfolg wird weitgehend davon bestimmt sein, inwieweit die Regierung bereit ist, diesen wichtigen Teil der Gesellschaft zu unterstützen und seine Bedeutung anzuerkennen.