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Union-Berlin-Blog: Digitus impudicus und die Leichtigkeit gegen den HSV

Berlin – Eisern: Unter dem Dach von TAG24 erscheint der Union-Berlin-Blog, verfasst von drei echten Berliner Fußballoriginalen, die Union-Fans mit Herzblut sind.

Die Schreiber:

Icke (Jürgen Heinemann) ist seit den 1970er Jahren Union-Fan und arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Betriebswirt im Vertrieb. Er ist verheiratet, Vater eines erwachsenen Kindes und lebt in Grünheide. Als Initiator des Blogs schreibt er regelmäßig hier.

Unionfux (Tobias Saalfeld) ist seit mehr als 40 Jahren treuer Union-Anhänger und arbeitet freiberuflich für Bühne, Rundfunk und Fernsehen, wo er ebenfalls publiziert.

Beecke (Christian Beeck) stammt aus dem eigenen Nachwuchs von Union, war Bundesligaprofi bei Hansa Rostock und Cottbus, ehemaliger Union-Manager und bestritt 21 Länderspiele für die DDR-Junioren. Er hat zwei Kinder und steht dem Union-Blog beratend zur Seite.

Unionfux: Wie allgemein bekannt ist, wird Steffen Baumgart am Sonntagabend beim Heimduell gegen den Hamburger SV nicht an der Seitenlinie stehen. Nach seiner Roten Karte ist er für ein Spiel gesperrt und muss zudem eine Geldbuße von 15.000 Euro zahlen. Zwar war die Rote Karte fraglich, doch vor allem die Geste des Trainers nach dem Elfmeter zum Anschlusstreffer der Eintracht sorgte für Aufsehen. Baumgart zeigte den berühmten Mittelfinger – eine Geste, die bereits in der Antike als digitus impudicus (unverschämter Finger) bekannt war. Er richtete diese jedoch nicht gezielt gegen eine Person, sondern eher symbolisch gegen das Geschehen, vermutlich um seine Meinung zu den Entscheidungen von Jonathan Burkardt, Schiedsrichter Jablonski und dem VAR auszudrücken.

Doch die Kameras zeichnen alles auf – und so wird der überraschende Sieg in Frankfurt von kritischen und teils moralisierenden Kommentaren begleitet. Mein Kollege Jannis K., der beim Kicker auch für uns schreibt, kritisierte in einem Kommentar die verhältnismäßig milde Strafe für den sogenannten "Mittelfinger-Eklat". Die immer wieder beschworene Vorbildfunktion im Profi-Fußball ist für mich jedoch fragwürdig – wenn sie denn jemals vorhanden war. Das gesamte Geschäft ist zu sehr von Entfremdung, Selbstverliebtheit und finanziellen Interessen geprägt. Außerdem frage ich mich, welches Kind oder Jugendlicher dadurch nun wirklich verrohen soll, wenn man bedenkt, was auf den Fußballtribünen und selbst auf dem Spielfeld alles an unschönen Gesten zu sehen ist, etwa beim sympathischen Nationalspieler Antonio R., von Tauhid-Finger bis Kopf-ab-Geste.

Auch Jannis K. zeigt selten Wohlwollen gegenüber unserem Verein. Natürlich sollte ein Journalist neutral berichten, aber bitte auch nicht über einen Klub, den er als zugezogener Ruhrpottler kaum kennt und offenbar nicht mag. Es ist doch heuchlerisch, aus einer heute durchaus üblichen Geste einen Skandal zu machen und härtere Strafen zu fordern, gerade nachdem die Verbandsentscheidung diesmal vergleichsweise ausgewogen war – so etwas hatten wir nicht immer.

Man kann emotionalen Trainern viel diskutieren – sie stehen natürlich oft im Fokus. Jürgen Klopp etwa wurde für seine Authentizität gefeiert, auch wenn er sich nicht immer im Griff hatte. Ich persönlich mag einen besonnenen Trainer wie Urs Fischer lieber (der sich auch schon mal eine Rote Karte einhandelte) als einen aufbrausenden wie Baumgart. Für wen das ganze Gezerre und Gestikulieren sein soll, weiß ich nicht. Vielleicht dient es dem Stressabbau – ähnlich wie früher die T-Shirts bei Kälte, Kaffeestäbchen oder Schiebermützen, die Gott sei Dank der Vergangenheit angehören. Beim FC Köln war das Kult, bei uns wird das als Überschreitung wahrgenommen.

Ich finde es aber ehrlich, wenn Baumgart keine Besserung verspricht. Mit 53 Jahren kennt er sich selbst gut genug – ändern tut man sich meist nicht mehr. Unvorstellbar wäre allerdings, hätte er den doppelten Mittelfinger gezeigt: Dann hätte der gesamte Bundesligaspieltag abgesagt werden müssen, er lebenslang gesperrt und alle Union-Fans müssten für ein Jahr Vaterunser beten oder alternativ einen Mittelfinger entfernen lassen. Das würde auch mein Kollege K. sicher angemessen finden – wobei er nur eine Stimme im Chor der Entrüstung ist. Wir leben eben im Zeitalter des Hysteriozäns.

Zurück zum Sport: Alle reden nun vom „Wundersturm“, aber eine einzelne gute Leistung macht noch keine erfolgreiche Saison. Im Heimspiel gegen den Aufsteiger HSV gilt es, auch mit weniger als 25 Prozent Ballbesitz zurechtzukommen. Die Hamburger werden wahrscheinlich nicht so nachlässig verteidigen wie die Eintracht, die Angriffsspieler Burke, Ansah und Ilic müssen mit weniger Raum auskommen und gerade Burke wird seine Schnelligkeit vermutlich nicht so gut ausspielen können wie zuletzt.

Es sind Präzision und Kreativität gefragt, ohne sich auskontern zu lassen. Zudem lastet der Druck, als Favorit zu bestehen: Drei Punkte sind Pflicht. Früher hatten wir öfter Probleme gegen die vermeintlich Kleinen, zu denen der derzeit große HSV zweifelsohne gehört. Nun wird sich zeigen, ob die Mannschaft wirklich Fortschritte macht und ob sie defensiv stabiler wird – weniger als drei Gegentore wären ein gutes Zeichen. Zaghaftigkeit wäre jedenfalls der falsche Weg. Vielleicht muss Andrej Ilic noch mehr seine Fähigkeiten als Spielmacher abrufen, unterstützt von Haberer oder Kemlein. Wenn wir am Sonntag gewinnen, gar souverän, könnte sich eine Leichtigkeit einstellen, die uns lange fehlte. Und irgendwo muss der Anfang gemacht werden – hier und jetzt: Wir siegen!

Icke: Die Spielplanmacher des DFB bereiten uns derzeit wenig Freude. Nach dem Sonntags-Spiel in Frankfurt wird es an diesem Wochenende noch kurioser. Der ungeliebte Sonntag bleibt, aber die Anstoßzeit wurde auf 19.30 Uhr gelegt. Da merkt man schnell, wer diese Termine macht – sicher keine hart arbeitenden Menschen. Man sollte doch auch daran denken, wann die Hamburger Fans bei dieser späten Zeit wieder zu Hause sind. Viele werden früh aufstehen müssen und wohl kaum rechtzeitig zurückkommen.

Warum ist das Duell gegen den HSV für Union so wichtig? Erst durch die drei Punkte in Frankfurt haben wir den gefährlichen Abstiegsbereich verlassen. Mit sechs Punkten aus vier Spielen stehen wir jetzt auf Rang 10. Gewinnen wir gegen den HSV, wäre auch ein Ausrutscher, etwa beim folgenden Spiel in Leverkusen, verkraftbar. Sonst stünde der Druck, im nächsten Heimspiel gegen Gladbach siegen zu müssen. Das entspannte Mittelfeld gefällt allen Unionern besser.

Unsere erfahrenen Fans staunten am vergangenen Wochenende nicht schlecht. Union spielte in Frankfurt plötzlich richtig guten Fußball. Balleroberungen durch frühes Pressing funktionierten, Pässe in die Tiefe kamen an – und die Tore fielen überraschend. Was war anders?

Zum einen rückte Leite wieder in die Innenverteidigung, was unsere Defensive stabilisierte. Am dritten Spieltag hatte Baumgart erstmals drei Spitzen (Burke, Ilic, Ansah) aufgeboten – damals lief noch einiges schief, man sah es als Eingewöhnung an. Niemand rechnete damit, dass Baumgart gegen Hessen wieder mit drei Angreifern spielen würde – doch er wurde belohnt. Jeder der Drei konnte seine Stärken zeigen: Burke seine Schnelligkeit und Kaltschnäuzigkeit, Ansah seine Technik und sein Spielverständnis, Ilic überraschte mit drei Torvorbereitungen, obwohl er eigentlich als vorderste Spitze gedacht war. Stellen wir uns vor, die Drei nehmen ihre Form mit ins HSV-Spiel!

Das Spiel findet ohne Baumgart an der Seitenlinie statt. Er wird es ärgern, gegen seinen Ex-Klub nicht dabeisein zu dürfen. Mit Ruhm hat er sich in der Gesamtsituation nicht bekleckert. Natürlich darf in Frankfurt mal die Emotion überkochen, niemand will ihn verbiegen. Ein bisschen Diplomatie in den Aussagen danach wäre allerdings klüger gewesen – vor allem im Hinblick auf die Vorbildfunktion für die Jugend. Niemand will hören: „Baumgart macht das doch auch.“

Beim HSV brodelt es: Kattenbach wurde aus disziplinarischen Gründen in die zweite Mannschaft versetzt – das Schicksal teilt er nun mit unserem Ex-Spieler Öztunali. Das Spiel ist für die Hamburger enorm wichtig. Sie haben bisher vier Punkte, belegen Platz 15. Eine weitere Niederlage könnte den Abstieg bedeuten. Die neu hinzugekommenen Spieler (Poulsen, Torunarigha, Philippe, Remberg) sind noch nicht optimal integriert.

In diesem Spiel sind wir der entscheidende Faktor. Wenn wir unsere hundertprozentige Leistung abrufen und die Energie aus Frankfurt mitnehmen, brauchen wir keine Angst zu haben. Eisern.

Unionfux: Wir fuhren nach Frankfurt zur Eintracht, die am Mittwoch zuvor Galatasaray mit 5:1 besiegt hatten und seit über einem halben Jahr zu Hause ungeschlagen sind. Baumgart stellte abermals mutig drei Stürmer (Ansah, Ilic, Burke) in die Startelf – genau diese drei erzielten vier blitzsaubere Tore und sicherten uns den Sieg. Dennoch blieb es bis zum Schluss spannend.

Wie Ilyas Ansah das erste Tor nach knapp zehn Minuten erzielte, hatte Qualität: Wir eroberten den Ball am gegnerischen Strafraum durch konsequentes Pressing, verloren ihn zwar schnell wieder, doch Frankfurts Koch spielte den Ball in Ansahs Füße. Der drehte sich einmal um die eigene Achse und schoss den Ball aus gut zwanzig Metern mit Präzision und Wucht unhaltbar ins linke lange Eck – zielgenau, wie man es sich besser nicht wünschen konnte.

Das zweite Tor resultierte aus einem Einwurf der Eintracht, den Trimmel per Kopf klärte, Ansah verlängerte, Ilic umringt von drei Frankfurtern schickte Burke steil, der seinen Verteidiger mühelos abschüttelte und cool vollendete – vom Einwurf bis zum Tor vergingen gerade mal fünfzehn Sekunden.

Leider konnten wir die Zwei-Tore-Führung nicht mit in die Pause nehmen. In der Nachspielzeit traf Brown aus 16 Metern, doch der Ball wurde unhaltbar abgefälscht.

Die zweite Halbzeit begann anders als erwartet: Die Eintracht kam nicht wie ein entfesseltes Team aus der Kabine. Gleich zu Beginn musste ihr Keeper weit aus dem Tor kommen, um einen weiteren Treffer durch Burke zu verhindern. Nach einem Ballverlust von Collins nutzte Ansah seine Technik gegen zwei Gegner und passte zu Ilic, der den Ball butterweich auf Burke flankte, der den Ball wuchtig einköpfte.

Es folgte ein sehenswertes Zusammenspiel zwischen Trimmel, Ilic und Burke, das mit einem perfekten Lupfer von Ilic über den Torwart zum vierten Treffer führte. Nach 56 Minuten lagen wir mit vier Toren vorne, die Eintracht wirkte angeknockt und brauchte rund zwanzig Minuten, um sich zu fangen.

Wir ließen den Ball kontrolliert laufen, verteidigten konsequent und riskierten wenig. Keeper Rönnow rettete gegen Doan und Koch, war aber machtlos, als Skarke einen abgewehrten Ball nicht klären konnte und Uzun frei einschoss. Burke vergab kurz zuvor eine weitere Möglichkeit zum fünften Tor.

Die Frankfurter drückten gegen Ende enorm und kurz vor Schluss gab es einen Strafstoß, nachdem Querfeld den eingewechselten Burkardt im Strafraum zu Fall brachte – Burkardt schoss sicher ein. Die Nachspielzeit dauerte – zum Glück – zehn Minuten, doch es gelang der Eintracht nicht mehr, den Ausgleich zu erzielen.

Wir nehmen drei wichtige und unerwartete Punkte mit aus Frankfurt, dank einer kämpferischen Mannschaftsleistung mit einer Laufleistung von 125 zu 119 Kilometern, einem überragenden Oliver Burke, der drei Tore erzielte und einer starken Torvorlage von Andrej Ilic, der für mich der Spieler des Spiels war. Trotz nur 22 Prozent Ballbesitz und einer schlechten Passquote von 58 Prozent (Frankfurt 88 Prozent) konnten wir gewinnen – da ist noch Luft nach oben.

Wir freuen uns, zurück im Mittelfeld der Tabelle zu sein – trotz der meisten Gegentore der Liga – und über unseren starken Angriff. Und: Wir sind die letzte Mannschaft, die die Eintracht zu Hause besiegen konnte.

Icke: Am 9. März 2025 gelang dem 1. FC Union ein sensationeller und überraschender 2:1-Erfolg bei Eintracht Frankfurt. Das Spiel fand an einem Sonntag statt, ebenso wie aktuell das Match Am Sonntag werden die Hessen erneut mit fünf neuen Feldspielern auflaufen. Die Bedingungen sind mit 24 Grad vielversprechend.

Die Eintracht steht derzeit auf einem Stimmungshoch und gilt als Bayern-Jäger Nummer eins. Am Sonntag, dem 21. September 2025, um 15.30 Uhr, kommt es erneut zum Spiel in Frankfurt.

Die Hessen verfügen über talentierte Spieler wie Uzun, Larsson, Doan und Burkhardt, der sich wieder in Topform befindet. Bei Union ist Ilic wieder an Bord, Ansah möchte seine starke Startform bestätigen und Rönnow ist wie gewohnt in Topform. Defensiv wird Leite wohl früher als erwartet wieder mitwirken, da Rothe gesperrt und Nsoki noch nicht fit ist, was der Abwehr mehr Stabilität geben sollte.

Baumgart wird die Dreiersturm-Variante wohl nicht erneut aufstellen, da zuletzt einige Lücken entstanden sind. Stattdessen wird die alte Formation mit zwei Acht, zwei Stürmern und besetztem Zentrum bevorzugt, um die schnellen Umschaltaktionen der Frankfurter besser zu unterbinden.

Schaffen wir es, diesen Plan umzusetzen, fehlt nur noch etwas Spielglück. Das hatten wir schon im März 2025, als Rönnow in der 95. Minute einen Elfmeter hielt. Die Frankfurter unterschätzen uns weiterhin – für sie sind wir der kleine, überheblich wirkende Gegner. Union wird diese Chance nutzen! Eisern.